Streiks der GDL rechtswidrig aufgrund verfehlten Quorums bei der Urabstimmung?

 

vom 20. Oktober 2014 i. d. F. v. 11. Juli 2015 

 

Nach der Auszählung der Stimmen bei der Urabstimmung der GDL hatte die GDL in einer Pressemitteilung am 2. Oktober 2014 verkündet:

 

„91 % der mehr als 16.000 befragten GDL-Mitglieder votierten in der Urabstimmung bei der Deutschen Bahn für Streik." 

 

Dies ist jedoch schlicht unwahr, wie die GDL inzwischen selbst einräumen musste. Zwar wurde wohl auf 91 % der abgegebenen Stimmzettel dem Arbeitskampf zugestimmt. Die GDL hat jedoch nur die abgegebenen Stimmen berücksichtigt und nicht alle befragten GDL-Mitglieder. Denn es haben längst nicht alle der genannten 16.000 Mitglieder ihre Stimme abgegeben. Etwa 3.000 fehlten.

 

Die GDL hat in ihrer Arbeitskampfordnung zum Mehrheitserfordernis bei der Urabstimmung festgelegt:

 

„...75 % der an der Urabstimmung beteiligten stimmberechtigten Arbeitnehmer...“

 

Diese Begrifflichkeit ist nach Ansicht der GDL zwingend so auszulegen, dass damit nur jene Mitglieder erfasst werden, die ihre Stimme abgegeben haben. Nur durch diese aktive Stimmabgabe würden sie in eine „Beteiligung“ eintreten. Jene Mitglieder, die auf ihre Stimmabgabe verzichtet haben, seien in diesem Sinne gar nicht beteiligt (das bloße Anschreiben an diese begründe noch keine „Beteiligung“). Sie hätten nicht einmal „aktiv“ eine Enthaltung abgegeben, sondern sie hätten sich einer Stimmabgabe und damit jeder Form von Beteiligung entzogen.

 

Dem wäre zweifellos zuzustimmen, wenn die Regelung zum Beispiel lauten würde: „...75 % der stimmberechtigten Arbeitnehmer, die sich an der Urabstimmung beteiligt haben....“ Nur ist genau dieser Wortlaut nicht gewählt worden.  Offensichtlich geht es mithin nicht darum, ob sich Arbeitnehmer beteiligt haben sondern, ob sie infolge ihrer Betroffenheit vom Tarifkonflikt beteiligt sind und deshalb beteiligt wurden beziehungsweise durch Zusendung der Abstimmungsunterlagen zu beteiligen waren. Das Wort „beteiligt“ dient mithin vornehmlich zur Abgrenzung gegenüber Mitgliedern, die an dem Arbeitskampf nicht beteiligt, weil sie vom Streikgegenstand nicht betroffen sind. Zum Beispiel Mitarbeiter von Privatbahnen bezüglich Arbeitskampfmaßnahmen bei der DB AG.

 

Wie die GDL angesichts des Wortlautes der eigenen Arbeitskampfordnung zu der Auffassung gelangt, ihre Auslegung sei zwingend, ist deshalb nicht nachvollziehbar.

 

Ist bereits die Auslegung des Wortlautes durch die GDL alles andere als zwingend, ist es jedenfalls geboten, sich mit Sinn und Zweck der Regelung auseinanderzusetzen.  Unterstellt man die Richtigkeit der Rechtsauffassung der GDL würde dies zum Beispiel dazu führen, dass, wenn bereits 4 stimmberechtigte Arbeitnehmer an der Abstimmung teilnehmen würden, wovon 3 dem Streik zustimmen, die erforderliche Zustimmung vorläge. Das Quorum von 75 % wäre mithin bereits bei weniger als 0,02 % Zustimmung gegeben. Und zwar mit der Folge, dass sich alle 16.000 Arbeitnehmer aufgrund ihrer satzungsgemäßen Pflichten gleichwohl am Arbeitskampf zu beteiligen hätten. Es ist kaum davon auszugehen, dass solche Ergebnisse zu ermöglichen, Sinn und Zweck der Regelung war.

 

Nach alledem spricht auf Grundlage der durch die GDL selbst veröffentlichten Zahlen viel dafür, dass die GDL gegen ihre eigene Arbeitskampfordnung verstoßen hat.

 

Bekanntlich ist das Arbeitskampfrecht kaum gesetzlich normiert sondern überwiegend Richterrecht, so dass regelmäßig unterschiedliche Auffassungen, insbesondere in der Literatur, vertreten werden. Zutreffend ist auch, dass es keine allgemeingültige gesetzliche Bestimmung gibt, nach welchen Regeln eine Urabstimmung zu erfolgen hat sondern die Festlegung von entsprechenden Regeln dem Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen Gewerkschaft unterliegt.

 

Hinsichtlich unbefristeter Streiks als auch wiederkehrender längerer Arbeitskampfmaßnahmen in einem unbefristeten Arbeitskampf wird man jedoch einen Verstoß gegen das Ultima-Ratio-Prinzip bei einer fehlenden oder mit wesentlichen Fehlern behafteten Urabstimmung zu sehen haben. Denn, wenn sich eine Gewerkschaft bewusst selbst Regelungen über Voraussetzungen für einen Streik unterwirft, entscheidet sie sich selbst dafür, dass bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen, Streiks nicht erforderlich sind. Arbeitskampfmaßnahmen, die aus diesem Grunde nicht durch eine Urabstimmung gedeckt sind, stellen dann regelmäßig einen Verstoß gegen das Ultima-Ratio-Prinzip dar und sind daher rechtswidrig.

 

Infolge dessen bestehen gewichtige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der seit Oktober 2014 wiederholten Streiks der GDL bei der DB AG, die nicht unerheblich für etwaige Schadnsersatzforderungen des Unternehmens wären. Allerdings hat die DB AG im Rahmen der Schlichtung am 30. Juni 2015 auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen verzichtet und die GDL sich bis Ende 2020 einer Schlichtungsverpflichtung unterworfen. Danach sind bis 2020 selbst Warnstreiks der GDL ohne vorherige Schlichtung bei der DB AG ausgeschlossen.

 

PS: Nach Beendigung ihrer Tarifauseinandersetzung hat die GDL übrigens am 2. Juli 2015, um "unnötige Selbstbindungen der GDL zu entfernen", ihre Arbeitskampfordnung geändert. Danach soll es künftig tatsächlich nach dem neuen Wortlaut der Arbeitskampfordnung reichen, wenn nur noch "mit mehr als 75 % der von den stimmberechtigten Arbeitnehmern abgegebenen Stimmen für die Durchführung des Streiks votiert wird."

 

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